§ 34a Überwachung der Telekommunikation

Langtitel:
Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei
Kurztitel:
Polizeiaufgabengesetz
Abkürzung:
ThürPAG
Normgeber:
Freistaat Thüringen
Fundstelle:
GVBl. 1992, 199
Ausfertigungsdatum:
04.06.1992
Stand:
Zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.07.2022 (GVBl. S. 323)
(1)
1Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines Landes, für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr für Sachen die Telekommunikation
1.
der für die Gefahr Verantwortlichen,
2.
von Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie für die für die Gefahr Verantwortlichen bestimmte oder von diesen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder
3.
von Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die für die Gefahr Verantwortlichen ihre Kommunikationseinrichtungen benutzen werden,
überwachen und aufzeichnen und die innerhalb des Telekommunikationsnetzes in Datenspeichern abgelegten Inhalte erheben.
2Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
3Die Anordnung der Maßnahme ist unzulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass durch die Maßnahme allein Kenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden.
4Die Anordnung der Maßnahme nach Satz 1 Nr. 2 und 3 ist unzulässig, wenn die Person das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses nach den §§ 53 oder 53a StPO hätte.
5Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden.
(2)
1Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation kann auch in der Weise erfolgen, dass mit informationstechnischen Programmen in vom Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn
1.
durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich eine laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird und
2.
der Eingriff in das informationstechnische System notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.
2Ein Zugriff auf die auf dem System gespeicherten Daten sowie alle anderen auf dem informationstechnischen System integrierten technischen Systemkomponenten ist unzulässig.
(3)
1Bei einer Maßnahme nach Absatz 2 ist technisch sicherzustellen, dass
1.
an dem informationstechnischen System nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Erfassung und Ausleitung von Sprachsignalen am Audiosystem unerlässlich sind und
2.
die vorgenommenen Veränderungen bei Beendigung der Maßnahme, soweit technisch möglich, automatisiert rückgängig gemacht werden.
2Das eingesetzte Programm ist nach dem Stand der Wissenschaft und Technik gegen unbefugte Nutzung zu schützen.
3Die überwachte und aufgezeichnete Telekommunikation ist nach dem Stand der Wissenschaft und Technik gegen Veränderung, unbefugte Löschung und unbefugte Kenntnisnahme zu schützen.
4Zum Zwecke der Datenschutzkontrolle sind
1.
die Bezeichnung der technischen Erfassungsanlage, der Ort und der Zeitpunkt des Einsatzes,
2.
die Angaben zur Identifizierung des informationstechnischen Systems und die daran vorgenommenen nicht nur flüchtigen Veränderungen,
3.
die Angaben, die die Feststellung der erhobenen Daten ermöglichen und
4.
die Organisationseinheit, die die Maßnahme durchführt,
zu protokollieren.
5Die Protokolldaten dürfen nur verwendet werden, um dem Betroffenen oder einer dazu befugten öffentlichen Stelle die Prüfung zu ermöglichen, ob die Maßnahme rechtmäßig durchgeführt worden ist.
6Sie sind bis zum Ablauf des auf die Speicherung folgenden Kalenderjahres aufzubewahren und sodann zu löschen, es sei denn, dass sie für den in Satz 5 genannten Zweck erforderlich sind.
(4)
1Erfolgt im Rahmen von Maßnahmen nach den Absätzen 1 oder 2 neben einer automatischen Aufzeichnung eine unmittelbare Kenntnisnahme und wird in deren Verlauf erkennbar, dass Inhalte erfasst werden, die
1.
dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen sind,
2.
einem Geistlichen oder seinem Berufshelfer in der Eigenschaft als Seelsorger anvertraut werden oder
3.
einem Vertrauensverhältnis zu einem Berufsgeheimnisträger oder Berufshelfer (§§ 53 oder 53a StPO) zuzuordnen sind und kein unmittelbarer Bezug zu den in Absatz 1 genannten Gefahren besteht,
ist die unmittelbare Kenntnisnahme unverzüglich und so lange wie erforderlich zu unterbrechen.
2Diesbezügliche Aufzeichnungen sind zu löschen.
3Bestehen über die Voraussetzungen einer Unterbrechung Zweifel, gilt Satz 1 entsprechend.
4Die vorhandenen Aufzeichnungen sind unverzüglich dem anordnenden Richter zur Entscheidung über die Verwendbarkeit oder Löschung der Daten vorzulegen.
5Ist die unmittelbare Kenntnisnahme unterbrochen worden, so darf sie nur fortgesetzt werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte nicht mehr zu erwarten ist, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung oder ein geschütztes Vertrauensverhältnis verletzt werden.
6Die Tatsache der Erlangung und die Löschung der Daten sind zu protokollieren.
(5)
1Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 dürfen nur auf Antrag des Leiters der Landespolizeidirektion oder des Leiters des Landeskriminalamts oder eines besonders beauftragten Beamten des höheren Polizeivollzugsdienstes durch den Richter angeordnet werden.
2Bei Gefahr im Verzug können die in Satz 1 genannten Behördenleiter oder bei deren jeweiliger Verhinderung ein besonders beauftragter Beamter des höheren Polizeivollzugsdienstes die Anordnung treffen; die richterliche Entscheidung ist in diesem Fall unverzüglich nachzuholen.
3Die Anordnung nach Satz 2 Halbsatz 1 tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Werktagen durch den Richter bestätigt wird.
4Tritt die Anordnung nach Satz 3 außer Kraft, sind die erhobenen Daten unverzüglich zu löschen und die Löschung zu protokollieren.
(6)
1Eine Anordnung nach Absatz 5 ergeht schriftlich.
2In ihr sind anzugeben:
1.
die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich mit Name und Anschrift,
2.
die Rufnummer oder eine andere Kennung des zu überwachenden Anschlusses oder des Endgeräts, sofern sich nicht aus bestimmten Tatsachen ergibt, dass diese zugleich einem anderen Endgerät zugeordnet ist,
3.
die Art, der Umfang und die Dauer der Maßnahme unter Benennung des Endzeitpunktes und
4.
im Fall des Absatzes 2 auch eine möglichst genaue Bezeichnung des informationstechnischen Systems, in das zur Datenerhebung eingegriffen werden soll.
3Die Maßnahmen sind auf höchstens drei Monate zu befristen.
4Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse fortbestehen.
5Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, sind die aufgrund der Anordnung ergriffenen Maßnahmen unverzüglich zu beenden.
(7)
1Aufgrund der Anordnung hat jeder, der Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt (Diensteanbieter), der Polizei die Maßnahmen nach Absatz 1 zu ermöglichen und die erforderlichen Auskünfte unverzüglich zu erteilen.
2Ob und in welchem Umfang hierfür Vorkehrungen zu treffen sind, bestimmt sich nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG) und der Telekommunikations-Überwachungsverordnung.
3Für die Entschädigung der in Anspruch genommenen Unternehmen ist § 23 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) entsprechend anzuwenden.